Weil der Blick über den Tellerrand neue Wege zeigt

Im Hintergrund ist die grün beleuchtete Bühne mit dem Grafik der Beyond Tellerrand 2025. Im Vordergrund sieht man die im Zuschauerraum wartenden Teilnehmer von hinten.

Die Bühne kurz vor dem Konferenz-Start. Im Hintergrund sorgt Tobi Lessnow schon für gute Musik.

Nach einem Jahr Pause war es letzte Woche endlich wieder so weit: Ich war zurück auf der wundervollen Beyond Tellerrand in Düsseldorf. Leider konnte sonst niemand aus dem werkraum-Team mitkommen, also habe ich mich allein auf den Weg gemacht und wurde belohnt mit schillernden Persönlichkeiten, beeindruckenden Projekten und wahrer Handwerkskunst.

Den zwei abwechslungsreichen Konferenztagen folgte für mich sogar noch ein intensiver Workshop zu komplexen Benutzeroberflächen.

Inspiration, Neugier und das Spiel mit dem Zufall

Ich reiste erst am Konferenztag selbst an – das bedeutete: sehr früh aufstehen! Zum Glück kam ich ohne nennenswerte Verspätung rechtzeitig in Düsseldorf an, konnte mein Gepäck direkt an der Garderobe abgeben und mir dann einen der sehr guten Kaffees gönnen, die freundlicherweise von Sipgate bereitgestellt wurden; ein ruhiger Moment, um kurz durchzuatmen, bevor das Programm so richtig losging.

Der erste Talk war ein großartiger Einstieg. Paula Zuccotti präsentierte ihr Projekt Every Thing We Touch, bei dem sie dokumentiert, welche Dinge Menschen an einem einzigen Tag benutzen. Die Bandbreite war beeindruckend – alle Altersgruppen, Berufe, Geschlechter und Kulturen waren vertreten. Ihre Fotografien erzählen sehr persönliche, manchmal intime Geschichten, die dennoch nur Momentaufnahmen sind. Fünf Jahre früher oder später – und das Bild sähe ganz anders aus. Ich ertappte mich immer wieder bei der Frage, was auf meinem eigenen Foto wohl zu sehen wäre.

Léonie Watson erinnerte mich an meinen ersten Besuch der Beyond 2022. Damals sprach sie über Barrierefreiheit im Web – dieses Mal darüber, wie ihr als blinder Person KI im Alltag hilft. Sie machte gleich zu Beginn deutlich: KI versteht die Welt nicht wirklich, sie berechnet nur Wahrscheinlichkeiten. Doch genau darin liegen ihre Stärken. Bildbeschreibungen, die sie sich selbstständig vorlesen lassen kann, Audiokommentare bei Filmen oder Echtzeitinformationen zur Umgebung – all das erleichtert ihr das Leben enorm.

Ein schöner Perspektivwechsel folgte mit Martina Flor, die uns mitnahm in die Kunst der Buchstabengestaltung. Jeder einzelne Buchstabe – ob schmal oder fett, rund oder kantig – trägt Bedeutung in sich. Und je nach Schriftart kann ein Wort ein komplett anderes Gefühl hervorrufen.

Philosophisch wurde es bei Jason Pamental. Er sammelte unterschiedliche Perspektiven auf die Frage, was Neugier eigentlich ist. Sein Fazit: neugierig bleiben, offen sein, das Warum nie aus den Augen verlieren. Alles verändert sich, und es gibt immer etwas, das wir besser machen können.

Künstlerisch-experimentell ging es weiter mit Brendan Dawes, der generative Verfahren in seiner Arbeit einsetzt. Ihn interessiert das Spannungsfeld zwischen Kontrolle und Zufall. Er schafft den Rahmen – und überlässt den Rest dem, was sich daraus entwickelt. Ein inspirierender Zugang zur Kreativität.

Zum Abschluss des ersten Konferenztages brachte Gavin Strange Energie, Witz und Tempo in den Saal. Seine Präsentation war ein Feuerwerk an Ideen, Projekten und Anekdoten. Er berichtete von seiner Arbeit bei Aardman (Shaun das Schaf) und davon, wie sie im letzten Jahr eine Wallace & Gromit-Animation komplett mit dem iPhone produzierten – die anschließend auf die Türme der Londoner Battersea Power Station projiziert wurde. Außerdem zeigte er uns zahlreiche seiner Nebenprojekte, die er einfach aus Neugier und Spaß umsetzt. Seine Botschaft: Mach dein Ding.

Gavin gestaltete das komplette Design der diesjährigen Konferenz – von den Plakaten über die T-Shirts bis hin zur Live-Performance der Speaker-Vorstellung. Jeder Vortragende bekam ein eigenes Logo. Ein super-symphatisches echtes Multitalent.

Ich hatte außerdem die Gelegenheit, Oliver Schöndorfer kennenzulernen, dessen Newsletter Font Friday mit viel Liebe zum Detail ich sehr gerne lese. Schön, ihm einmal persönlich zu begegnen.

Der Tag endete für mich mit einem schönen Blick aus dem Hotelzimmer auf die Düsseldorfer Skyline im Sonnenuntergang.

Zwischen Code, Kultur und Nutzerbedürfnissen

Mit dem goldenen Morgenlicht über Düsseldorf im Rücken startete ich in Tag zwei.

Schon früh wurde deutlich, wie groß die Lücke zwischen Designprozess und echter Webrealität oft ist. Matthias Ott zeigte, dass wir in unseren Tools meist mit festen Größen arbeiten, obwohl das Web dynamisch und variabel ist. Seine provokante These: Designer sollten coden, Entwickler sollten designen. Nur so lassen sich funktionierende Prototypen entwickeln, direkt im Browser und mit echtem Bezug zur Nutzungssituation.

Eine völlig andere Welt eröffnete sich im Vortrag von Gustavo Ferrari. Er nahm uns mit nach Buenos Aires und erzählte von der Fileteado-Art – einer dekorativen Maltechnik, die einst auf Holzwagen begann, sich später auf Busse und Transporter übertrug und fast in Vergessenheit geraten wäre. Heute ist sie fester Bestandteil der urbanen Kultur Argentiniens und ein wunderschönes Beispiel dafür, wie visuelle Gestaltung Identität prägen kann. Im Vorraum malte er während der Konferenz live ein Schild, Filetado ist eine Handwerkskunst, komplett ohne Computer.

Beim Aussteller-Stand von Incluthon konnte ich am eigenen Leib erfahren, wie sich Seheinschränkungen anfühlen – dank spezieller Simulationsbrillen. Eine eindrückliche und wertvolle Erfahrung. Zudem versuchte ich in einer der Pausen mein Glück an der elektronischen Kletterwand von Asus. Ein Notebook als Hauptgewinn war sehr verlockend, mein Klettergeschick allerdings eher ausbaufähig.

Technisch wurde es wieder bei Cyd Stumpel, die mit dem Satz „CSS is awesome“ startete – und diese Aussage schnell mit Leben füllte. Sie stellte neue Features wie Scroll-Driven Animations und View Transitions vor, die nicht nur optisch beeindruckend, sondern auch leistungsfähig und barrierefrei sind. Es war faszinierend zu sehen, wie viel inzwischen direkt mit CSS umsetzbar ist. CSS is awesome? Absolut!

Einen Teil seines Themas kannte ich schon aus einem Online-Workshop, doch Vitaly Friedman gelang es trotzdem, neue Perspektiven zu eröffnen. Bei seinen Inclusive Design Patterns geht es nicht nur um Barrierefreiheit, sondern um echtes Verständnis für unterschiedliche Nutzungskontexte. Wer unter Zeitdruck oder in stressigen Situationen mit einer Oberfläche arbeitet, braucht klare Strukturen – nicht ästhetische Spielereien. Es zählt, was Menschen wirklich brauchen.

Wie Technik gestaltet sein sollte, damit sie in den Hintergrund tritt, zeigte Amber Case. Sie plädierte für eine Gestaltung, die sich nicht aufdrängt – so selbstverständlich wie ein Lichtschalter oder eine Brille. Besonders in Erinnerung blieb mir ihre Küchenlampe, die das Wetter draußen durch Licht und Farbe spürbar macht. Ihr Ansatz: Technologie soll uns helfen, nicht ablenken.

Zum Abschluss der Konferenz sprach Sharon Steed über Empathie und Verletzlichkeit – Werte, die auch im Kontext von KI und digitalen Technologien Relevanz behalten. In einer Welt, die zunehmend automatisiert ist, braucht es mehr denn je menschliche Verbindungen. Technologie darf nie Selbstzweck sein, sondern sollte immer den Menschen dienen.

Damit endeten zwei intensive Tage bei der Beyond Tellerrand – mein Kopf war voll, im besten Sinne. Und vermutlich bleibt er das auch noch eine Weile. Einen klaren Favoriten unter den Vorträgen kann ich gar nicht benennen. Es war, wie so oft bei dieser Konferenz, ein bunter Blumenstrauß an Eindrücken, der seine volle Wirkung erst im Zusammenspiel entfaltet.

Komplexe UIs gestalten und meistern

Nach der Inspiration und den praktischen Impulsen der ersten beiden Tage wurde es nun richtig hands-on. Der Workshop Designing for Complex UIs mit Vitaly Friedman war nicht nur unterhaltsam, sondern auch sehr gehaltvoll.

Gemeinsam arbeiteten wir an Lösungen für eine extrem komplexe Web-Oberfläche mit vielen Filtern und riesigen Datentabellen. Vitaly lieferte dazu massenhaft Zusatzmaterial, mit dem man noch lange weiterarbeiten kann.

Für mich hat sich absolut gelohnt – danke, Vitaly!

Schon beim Mittagessen unterhielt ich mich mit einem anderen Teilnehmer aus Karlsruhe – bei rund 30 Teilnehmenden aus ganz Deutschland eigentlich schon ein ziemlicher Zufall. Doch der Wahnsinn kam erst später: Als wir uns beim Abschluss des Workshops auf den Weg zum Bahnhof machten, stellte sich heraus, dass wir insgesamt sechs Karlsruher waren, die alle denselben Zug zurück nach Hause nahmen. Irgendwie verrückt, oder? Vielleicht sollte man nächstes Jahr einen Workshop direkt in Karlsruhe veranstalten – wer weiß!

Wenn Ideen weiterklingen

Es war einfach großartig, wieder über meinen eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Neue Menschen, neue Perspektiven, neue Ideen – und ganz viel Inspiration. Was sich davon im Arbeitsalltag verankert, wird die Zeit zeigen.

Nebenbei bekam ich mit, dass es für Veranstalter wie Marc Thiele leider zunehmend schwieriger wird, Konferenzen wie diese wirtschaftlich tragfähig zu organisieren. Umso mehr hoffe ich, dass er die Beyond Tellerrand weiterhin am Leben erhält. Sie ist ein echtes Juwel.

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Wer mehr zu den Sprechern und ihren Vorträgen erfahren möchte oder neugierig auf die Konferenz geworden ist, kann sich direkt auf der Website umschauen. 

beyond tellerrand // DÜSSELDORF 2025, taking place 05 - 06 May 2025 

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